Ein schönes Bild

Heute findet das zweite Gespräch mit meiner neuen Psychotherapeutin statt.
Sie erzählt mir, daß sie mich nicht therapieren will und tut es dennoch.
Es sind gute Gespräche mit ihr.
Ich denke, sie könnte meine Tochter sein.
Das macht es am Anfang schwer, später vergesse ich diesen Gedanken.
Es tut gut, ihr zu zuhören, wie es gut tut, wenn sie zuhört.
„Wovor haben Sie Angst?“ fragt sie mich, als ich von meiner Schlaflosigkeit erzähle.
„Davor, zu verblöden.“
„Warum?“
„Weil ich meiner Frau nicht zur Last fallen möchte.“
„Wie meinen Sie das?“
„Ich möchte ihr ersparen, mich pflegen zu müssen.“
„Aber, möchte ihre Frau auch, dass Sie ihr das ersparen?“
Ich sehe sie ratlos an.
„Beschreiben Sie doch einmal, wie es aussieht, wenn Ihre Frau Sie pflegt.“
„Ich sitze in meinem Bett und werde von ihr gefüttert. Aus meinem Mund läuft Speichel, meine Frau wischt ihn ab.
Dann füttert sie mich weiter.“
„Und wo schaut Ihre Frau die ganze Zeit hin?“
„Sie schaut mir ins Gesicht.“
„Sie wendet sich also nicht von Ihnen ab?“
„Nein. Sie schaut mich die ganze Zeit an.“
„Ein schönes Bild!“

21.01.2010

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