Kopf im Sand

Selten erhalte ich Zuschriften von Lesern meines öffentlichen Tagebuches, noch seltener spricht mich jemand auf meine Krankheit an.
Um so erstaunter bin ich, als ich letzte Woche den Anruf einer mir fremden Frau erhalte. Jemand hätte ihr geraten, mich anzurufen. Ob Sie sich mit mir unterhalten dürfe?
In der darauf folgenden knappen Stunde höre ich mir eine Geschichte an, wie ich sie mir nicht hätte ausdenken können. Ihr Tumor war vor mehr als drei Monaten im Rahmen einer MRT- Untersuchung zur Abklärung eines Tinitus zufällig entdeckt worden.  Anschließend, so erzählt mir die Anruferin, hätte sie mehrere Ärzte aufgesucht, welche ihrer Ansicht nach widersprüchliche, auf jeden Fall aber unterschiedliche Diagnosen aufgestellt hätten. Außerdem sei sie Patientin eines Chiropraktikers, der ihr ganz andere Therapieempfehlungen geben würde, als die sie behandelnden Ärzte. Die Tabletten für ihre Chemotherapie hätte sie deshalb noch nicht angerührt.
Seit Wochen.
Ich sage ihr, dass ich die von ihr wahrgenommenen Widersprüche in den ärztlichen Diagnosen spontan nicht erkennen könne. Außerdem würde ich ihr raten, den Empfehlungen ihrer Ärzte zu folgen. Ich hätte das auch getan und damit gute Erfahrungen gemacht.
Als ich sie zwei Tage später anrufe, um ihr Mut zuzusprechen, hat sie mit der Chemotherapie noch immer nicht begonnen.
Und sie erzählt mir von einem bevorstehenden Besuch beim Chiropraktiker.

19.08.2015

Ich habe mich der Schulmedizin anvertraut und damit gute Erfahrungen gemacht. Ausflüge in sogenannte „alternative“ Behandlungsmethoden habe ich als grundsätzlich angenehm, aber wenig hilfreich empfunden. Ein Todkranker macht sich zum Deppen und andere reich. Und am Ende stirbt er. Mehr ist nicht passiert.

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