Laufen lernen

Bei den ersten Schritten ist mir verdammt schwindelig und ich bin mir gar nicht mehr so sicher, ob mein Nachtengel nicht doch recht hatte mit ihren Sorgen, meine Mobilität betreffend.
Nachdem ich mich aber stundenlang über sie aufgeregt habe, kann ich jetzt, auch wenn sie inzwischen wahrscheinlich längst zu Hause schlummert, nicht klein beigeben.
Sollte ich tatsächlich umkippen, werde ich mir Sätze anhören müssen wie „Das habe ich doch gleich gesagt!“ oder „ Na, sehen Sie!“.
Und das, soviel ist sicher, wird nicht geschehen!
Also lasse ich erst das eine, dann das andere Bein aus dem Bett hängen und richte mich in wenigen gefühlten Stunden auf.
Und setze mich sofort wieder hin.
Scheiße!
Das wird nichts.
Ich werde also den Rest meines Lebens die Nächte auf einem Duschrollstuhl über einer Toilette zubringen, während sich Dolores in Hörweite vor der Tür postiert.
Angesichts dieser Vorstellung neige ich dazu, meine recht geringe Lebenserwartung als tröstlich zu empfinden.
Los, Du alter Sack, steh auf!
Derart selbstmotiviert, richte ich mich ein zweites Mal auf, denke an die sich abzeichnende Alternative – und mache meinen ersten Schritt.
Und meinen zweiten.
Ich klatsche das WC ab, drehe um, klatsche mein Bett ab, drehe um und werde mutiger.
Es würde keinen Sinn machen, meine Zukunft zwischen Bett und WC hin- und herpendelnd zu verbringen.
Also verlasse ich meine eingenommene Umlaufbahn und greife beherzt zur Klinke meiner Zimmertür.

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