Pfeile

Was für eine Frage!
„ Ich soll jetzt und hier entscheiden, wie meine Behandlung weitergeht?“
Wie von mir befürchtet, nickt er.
„Als Chirurg habe ich meine Arbeit getan. Der Tumor ist entfernt. Nur wissen wir aus Erfahrung, daß der Tumor nicht dort endet, wo wir sein Ende erkennen können.“
Ich verstehe.
„Sie sagen mir also, daß der sichtbare Tumor gut entfernt werden konnte?“
„Ja.“
„Und dann sagen Sie mir, daß es wahrscheinlich, höchstwahrscheinlich, Tumorzellen gibt , die so klein sind, daß wir sie nicht sehen können. Und was wir nicht sehen, können Sie auch nicht rausschneiden.“
„Ja.“
„Und jetzt fragen Sie mich, ob ich diese unsichtbaren, aber höchstwahrscheinlich vorhandenen Tumorzellen mit Bestrahlung oder einer Chemotherapie bekämpfen möchte.“
„Ja.“
„Was würden Sie an meiner Stelle tun?“
Der Moment, der bis zu seiner Antwort vergeht, ist zu kurz, als daß er erst jetzt darüber nachgedacht haben kann.
„Ich würde beides tun.“
„Und warum erwecken Sie mir gegenüber den Eindruck, ich müsse mich für eine der beiden Möglichkeiten entscheiden?“
„Weil das die beiden einzigen noch verbliebenen Pfeile in Ihrem Köcher sind!“
Ich verstehe.
„Mit der operativen Entfernung des sichtbaren Tumors haben Sie den ersten von drei Pfeilen verschossen. Mit der Chemo, oder auch mit der Bestrahlung, verschießen Sie den zweiten. Und wenn der letzte Pfeil verschossen ist, dann ist Ihr Köcher leer!“
Ich verstehe.
„Und weshalb würden Sie beide Pfeile gleichzeitig verschießen?“
„Weil das die drei Pfeile sind, die wir zur Zeit kennen. Wer sagt uns, daß nicht in Kürze ein weiterer Pfeil zur Verfügung steht? Wer sagt uns, daß wir nicht doch noch rechtzeitig Munition nachladen können?“
Ich verstehe.
„Daß die Chemotherapie positive Wirkungen haben kann, wissen wir. Daß die Bestrahlung wirkt, wissen wir auch.“
Ich verstehe, was er jetzt sagt, bevor er es sagt:
„Weshalb sollte ich heute auf eine Therapie verzichten, um in einer Zukunft, die ich womöglich gar nicht erlebe, auf diese zurückgreifen zu können?“
„Wann fangen wir an?“
„Womit?“
„Meine Pfeile zu verschießen…“
„Sofort!“

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