Narben

Meine Haare wachsen schnell.
Seit ich sie für die OP abrasiert habe, das war vor etwa 4 Wochen, sind sie wieder deutlich zu sehen.
Weil das Ganze von einem Haarschnitt weit entfernt ist, sehe ich aus wie ein russischer Wehrpflichtiger.
Mutete die Glatze noch martialisch, bisweilen sogar männlich an – mein Dreitagebart auf dem Kopf läßt jeden Charme vermissen.
Vor allem die Narbe ist jetzt noch deutlicher zu sehen.
Im Krater wächst nichts mehr.
„So sehe ich beschissen aus“ denke ich, und gehe zum Friseur.
Ich suche mir einen Salon aus, der im Schaufenster mit der Anfertigung von Perücken auf sich aufmerksam macht.
Die kennen sich mit Glatzen aus.
Als ich eintrete, stehe ich drei neugierig aufschauenden Friseurinnen gegenüber, keine viel älter als 14, keine schwerer als mein linker Arm.
Da alle drei gleich inkompetent auf mich wirken, spreche ich die Nächststehende an:
„Ich hätte gern eine Haarverlängerung!“
Ich schlage meine Kapuze zurück, im Freien sind es heute 23 Grad minus, mein rechter Zeigefinger weist auf meine gut und gern 3 mm lange Haarpracht.
Barby folgt meinem Finger mit den Augen, legt ihr arrogantes Lächeln ab und wendet sich ihrem Kompetenzteam im Hintergrund zu.
„ Das ist doch was für Frau…“
Den Namen habe ich vergessen.
Was „das“ ist, weiß ich bis heute nicht.
Immerhin sind jetzt auch die Kundinnen im Raum auf mich aufmerksam geworden.
Ich fühle mich wie ein Tanzbär und will wieder gehen.
„Kann ich Ihnen helfen?“
Sie hat ihren Namen gehört und ist vom Kaffee aufgesprungen.
Sie sieht nett aus und mich nett an.
„Ja, das können Sie.“
Ohne ein weiteres Wort schlage ich meine Kapuze ein weiteres Mal zurück.
„Kommen Sie“, bittet sie mich auf einen der leeren Plätze.
Sie ist nicht verlegen, als sie meinen Hinterkopf sieht.
Die Narbe.
„Gestern hatte ich eine Auseinandersetzung mit meinem erwachsenen Sohn und dachte bis eben, ich hätte Probleme. Wenn ich Sie jetzt sehe, komme ich mir richtig albern vor.“
Sie fährt mit dem Finger die Narbe entlang, findet noch zwei drei andere Blessuren aus Kindertagen und schaut mir im Spiegel in die Augen.
„Alles runter?“
Alles runter.
Als ich gehe, gebe ich ihr 10 Euro Trinkgeld.
Barby beobachtet das mit versteinertem Gesicht.
Man, ist das kalt heute.

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