Gespräche

„Ist das hier die Toilette?“
Das Gefühl, wider Erwarten noch zu leben, berauscht mich, macht mich geradezu glücklich.
Lange brauche ich deshalb nicht, um mich zu erholen und ich beginne, mich zu orientieren.
Die drei sehen erst sich und dann mich schulterzuckend an.
„Das wird wohl die Toilette sein“, sagt schließlich der Mann im Bett zu meiner Rechten.
„Wir können das nicht sagen, von uns kann da keiner hin.“
Oh.
Es ist die Toilette.
Wieder zurück im Zimmer, will ich mich nützlich machen.
„Sagt mal, Jungs, soll ich nicht das Fenster ein wenig öffnen? Die Luft hier ist ganz schön verbraucht!“
„Oh, das war bestimmt ich“, erhalte ich als verschämte Antwort.
Mein Bettnachbar sieht mich traurig an, zeigt auf die Stelle unter seiner Bettdecke, wo ich, wie sich gleich zeigt zu recht, sein Gesäß vermute.
„Ich habe bestimmt wieder eingemacht.“
Ich verstehe nicht.
„Aber, ich merke das nicht!“, fügt er an.
Ich verstehe.
„Das meine ich nicht“, beeile ich mich zu versichern.
„Wir liegen hier zu viert und es ist kein Fenster auf, da ist die Luft nunmal schnell verbraucht!“
Er schaut mich dankbar an, seine Augen suchen ein Gespräch.
„Was hast Du denn, wenn Du nicht merkst, dass Du unter Dich machst?“
Unangemessen erscheint mir das Du nicht.
Männer, die einscheißen, sagen Du zueinander, beschließe ich spontan, zumal mein Gegenüber etwa in meinem Alter sein sollte.
„Leberkrebs.“
Stille.
„Magenkrebs.“
Stille.
„Darmkrebs“
Stille.
„Eigentlich überall“, schließt er ab.
„Da bist Du aber ziemlich im Arsch“, fasse ich meine Gedanken zusammen.
Er lächelt.
„Das stimmt!“
„Wäre ich nicht so im Arsch, wäre ich jetzt auch nicht hier, sondern auf meinem Boot!“
Er zeigt nach Draussen, wo die Sonne scheint.
Das Bett gegenüber meinem Fußende bekommt ein Gesicht.
„Du hast ein Boot? Da musst Du aber ganz schön Geld haben!“
„Ja, das habe ich. Als Vorstandsvorsitzender habe ich gutes Geld gehabt!“
Er schaut mir in die Augen und wir verstehen uns.
„Ich bin auch zur See gefahren, aber nicht auf einem Boot, sondern auf einem Schiff!“
Das Gespräch nimmt Fahrt auf, auch Bett vier wird lebendig.
„Was hast Du auf dem Schiff gemacht?“
„Ich war Heizer.“
Das interessiert mich.
„Wie, Heizer. So richtig mit Kohlen schaufeln und allem drum und dran, wie auf der Titanic?“
„Ja. Das ist ja der Grund, warum ich hier liege.“
„Wie das?“
„Na ja, die Pötte waren doch wegen der Brandgefahr alle komplett mit Asbest ausgeschlagen! Und da habe ich jahrelang unter Deck gearbeitet und den Scheiß eingeatmet!“
Bett vier, inzwischen weiß ich, dass er Rheinländer ist, sich nach seiner alten Heimat sehnt und mit Prostatakrebs im letzten Stadium hier ist, setzt nach:
„Na, da kriegst Du doch jetzt aber bestimmt eine gute Rente, oder?“
Er lacht.
„Ja, das hat mein Rechtsanwalt alles gut geregelt. Man, was ich jetzt für eine Rente kriege! Das hätte ich selbst nicht gedacht! 2200 Euro im Monat!“
Er strahlt über das ganze Gesicht.
„Da könnte ich mir jetzt auch ein Boot leisten“, wendet er sich an meinen Nebenmann, der aufmerksam zugehört hat.
„Was hast Du denn?“, frage ich ihn.
„Lungenkrebs.“

Ich werde diese drei nie vergessen, auch wenn ich nicht einmal ihre Namen kenne.
Den Vorstandsvorsitzenden, den Rheinländer und den Heizer.
Ich hoffe, es geht euch gut.

11.05.2010

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