Und fragen Sie Ihren Arzt…

“Na ja, eigentlich müssten Sie das Keppra schon weiter einnehmen!”
Ich frage meinen Arzt , ob bzw. wie lange noch ich ein Medikament, das erneuten epileptischen Anfällen vorbeugen soll, einnehmen muß.
Immerhin hat es, wie jedes Medikament, Nebenwirkungen.
In diesem Falle verändern sie mein Wesen. Wie bei einem Antiepileptikum nicht anders zu erwarten, “schraubt” das Zeug am mir verbliebenden Teil meines Gehirns. Ich werde aggressiv, stehe immer etwas neben mir. Das gefällt mir nicht.
Also möchte ich, wenn möglich, darauf verzichten.
Und bekomme einen Satz, der mit “eigentlich” beginnt, zur Antwort.
Ich mag dieses Wort nicht.
“Wissen Sie,”antworte ich ihm, “ich sehe das so.
Der Tumor hat auf mein Gehirn gedrückt und damit einen epileptischen Anfall ausgelöst.
Das verstehe ich.
Jetzt ist der Tumor durch die OP entfernt worden, kann also nicht mehr aufs Gehirn drücken.
Wo ist das Problem?”
“Das Problem ist, dass Sie einen Anfall hatten und vieles dafür spricht, dass Sie wieder einen bekommen können!”
“Weshalb?”
“Weil an Ihrem Gehirn operiert wurde, weil dort jetzt eine Narbe ist und weil Sie durch die Umstände insgesamt Krampfanfall gefährdeter sind, als hätte man Sie nicht operiert!”
Das verstehe ich.
“Ja, aber kann man denn nicht feststellen, ob ich Krampfanfall gefährdet bin bzw. in welchem Maße?”
“Doch, das kann man abklären. Mit einem EEG.”
Wenige Tage später liege ich beim Neurologen, eine Vielzahl von Kontakten werden auf meine Kopfhaut geklebt, das Ganze dauert etwa eine halbe Stunde.
Gemessen werden Hirnströme, sagt man mir.
Nach etwa 20 Minuten können das nicht mehr so viele sein, denn ich schlafe ein und muß geweckt werden.
“Das sieht doch ganz gut aus!”, heißt es zwei Wochen später.
“Diese zwei Spikes hier”, er zeigt mir das EEG auf seinem Schreibtisch nicht, wohlwissend dass ich es ohnehin für seismografische Aufzeichnungen halten könnte, “diese zwei Spikes lassen auf eine leicht erhöhte Krampfanfälligkeit schließen.”
Hmmm.
Er deutet mein Schweigen richtig und ergänzt:
“Das heißt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Sie einen Krampfanfall bekommen können, leicht gesteigert ist. Das heißt nicht, daß Sie tatsächlich einen Krampfanfall bekommen!”
“Außerdem”, fährt er fort, “außerdem liegt Ihre OP noch nicht so lange zurück. Da muss man die Narbenbildung berücksichtigen und…”
“Ja aber, heißt das dann nicht, dass ich das Keppra absetzen bzw. in der Dosierung zurückfahren kann?”
Er zögert.
Und langsam beginne ich zu verstehen.
Ich verlange von meinen Ärzten Unmögliches.
Solange ich meine Medikamente einnehme, wird sie niemand zur Rechenschaft ziehen, sollte mir etwas passieren.
Setzen sie jedoch Medikamente ab, reduzieren sie deren Dosis, werden sie, auch wenn sie dies selbst für vertretbar halten, ggf. sehr wohl Rechenschaft ablegen müssen.
Gegen solch ein Damoklesschwert wiegen die Nebenwirkungen, die ich zu verkraften habe, aus ihrer Sicht natürlich lächerlich gering.
Aus ihrer Sicht.
Und so nehme ich von diesem Tag an erst die halbe Tagesdosis, später ein viertel und schließlich gar nichts mehr.
Seit einer Woche lebe ich ohne ein Antiepileptikum.
Und frage meine Ärzte nicht mehr, ob ich ein Medikament absetzen darf, sondern, für wie vernünftig sie dies halten.
Reagieren sie entsetzt, nehme ich meine Pillen konsequent weiter.
Beginnt die Antwort hingegen mit “eigentlich”…

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