Positiv denken

„Sie hatten einen Hirntumor!“
Ich stehe mit Gaston bei der Hundefriseurin und werde gefragt, was mit meinem linken Arm los ist. Ich würde den Hund ja gar nicht richtig halten.
„Der Arm ist o.k.“ antworte ich.
„Nur die Steuerung im Kopf ist defekt.“ Ich will nicht immer mit dem Begriff „Hirntumor“ um mich schmeißen, das macht schnell schlechte Laune. Diesmal gelingt mir die Umschreibung nicht wirklich gut, denn sie sieht mich an, als hätte ich ihr in Mandarin geantwortet.
Ich gebe auf.
„Was ich meine ist, dass der Arm völlig in Ordnung ist, nur mein Gehirn ist krank. Ich habe einen Hirntumor.“
Während ich angestrengt versuche, Gaston festzuhalten, drehe ich meinen Kopf so, dass sie die kahle Stelle sehen kann.
„Ich wurde im Januar operiert und habe die letzte Chemotherapie gerade hinter mir.“
„Das heißt, Sie hatten einen Tumor!“, lacht sie mich an.
Wie bitte?
„Na ja, Sie sind operiert worden, also ist der Tumor doch weg!“
Hmmm.
Eine Stunde lang höre ich mir an, dass ihre Mutter auch einen Hirntumor hatte, damit aber prima leben konnte, dass sie als Kind einen komplizierten Armbruch überstehen musste und der Sex mit ihren dritten Mann sehr gut ist.
„Positiv denken muß man, sonst geht man unter.“
Ich nicke, als Zeichen, dass ich zuhöre.
Ich nicke schon seit einer Stunde.
Denn ihr mit größter Selbstverständlichkeit ausgesprochenes „…also ist der Tumor doch weg!“ hat Besitz von mir ergriffen.
Das Trinkgeld hält sie für die Anerkennung ihrer Arbeit als Hundefriseurin.
„Der Tumor ist weg!“
Hmmm…
Das ist mir 10 Euro wert.

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