Eine zweite Chance

Vom Eintreffen der Frühschicht bis zum Gespräch mit meinem Arzt vergehen noch fast fünf Stunden. Fünf Stunden, die mich um ebenso viele Jahre altern lassen.
Da ist er.
„Guten Tag Herr Kramer.“
Ist dies das Gesicht eines Menschen, der schlechte Nachricht überbringt?
„Guten Tag Herr Professor.“
„Um es kurz zu machen:“
Oh nein!
„Die Bilder sehen gut aus.“
Wie bitte?
„Als wir Sie im Januar operiert haben, konnten wir uns ein solches Ergebnis wünschen. Daran geglaubt hätte ich nicht.“
Bitte nicht aufhören!
„Wenn ich die Aufnahmen vom April mit den heutigen vergleiche, gibt es keine Veränderungen. Und die im April haben uns ja sehr zufrieden gemacht!“
Ja. Ja. Ja.
Ich möchte springen, weglaufen, mit den Füßen stampfen. Vorerst lächele ich ihn an.
„Dann sind Sie also mit dem Verlauf meiner Krankheit zufrieden?“
„Sehr zufrieden sogar. Lassen Sie es mich so formulieren: Unter denen, die so wie Sie ins Klo greifen, gehören Sie zu denen, die Glück haben.“
Ich sehe ihn verständnislos genug an, um ihn zum Weitersprechen zu bewegen.
„Nach allem, was wir über Ihren Tumor wissen und mit diesen aktuellen Bildern hier vor Augen, spricht vieles dafür, daß Sie zu denen gehören, bei denen wir auch eine Langzeitprognose wagen dürfen.“
Professorendeutsch.
Ich liebe es.
Langzeitprognose.
Hört ihr, ihr da Draußen im Internet?
L a n g z e i t p r o g n o s e.
Die Stunden, die vergehen, bis ich dies hier aufschreibe, gehören zu den glücklichsten meines Lebens.
Weihnachten, Silvester, Ostern.
Ich komme!

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