Kettenreaktion

Alte Leute erzählen ständig über ihre Krankheiten. Und manchmal über ihren Stuhlgang.
Ich verstehe das nicht.
Ich würde niemandem etwas über meinen Stuhlgang erzählen.
Und auch nicht über die Blähungen, die mich in den letzten Tagen plagen. Auch die sind Spätfolgen der Chemo. Allerdings eher indirekter Natur.
Denn ich versuche, durch Obst und Joghurt meine Darmflora wieder in Gang zu bringen.
Und die ist in Gang, mein lieber Mann!
Heute Morgen ziehe ich mich deshalb auf unsere Gästetoilette zurück, denn die sehr offene Bauweise unseres Hauses läßt einen heimlichen Toilettengang nicht zu.
Meine Familie würde es sicher freuen, zu erfahren, daß mein Darm wieder arbeitet, nur will ich ihnen die Nachricht, wenn überhaupt, gern in Worten und möglichst unvertont überbringen.
Und schon gar nicht beim Frühstück.
Ob ich zu lange damit warte?
Ob der Weg zu lang ist?
Endlich auf der Toilette angekommen, fühle ich mich wie aufgeblasen.
Schnell das Fenster auf und…
Hatte ich schon davon erzählt, daß wir bildhübsche Mitarbeiterinnen haben?
So richtig hübsche, wenn Sie wissen, was ich meine.
Hatte ich noch nicht von erzählt?
Dann hatte ich auch nicht davon erzählt, daß eine dieser extrem hübschen Mitarbeiterinnen jeden Morgen eine Kette entfernt, die den Zuweg zu unserem Parkplatz über Nacht versperrt?
Und auch nicht davon, daß diese Kette direkt neben dem Fenster unseres Gäst-WC angebracht ist?
Dann habe ich also tatsächlich vergessen, Ihnen das zu erzählen?
Mich wundert das nicht.
Denn heute morgen vergesse ich die genannten Umstände ebenfalls und schenke meinen Blähungen in großer Geste die Freiheit.
Kaum ist die Titanic ausgelaufen, höre ich ein leises Klirren und Klimpern.
Die Kette.
Und die hat sich noch NIE von allein bewegt!

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