Shit happens

Als ich mir den Slogan „Leben mit Hirnt(h)umor“ einfallen ließ, glaubte ich, einen ungewöhnlichen Weg, was den Umgang mit meiner Krankheit anbetrifft, zu beschreiten. Was hat Krebs schließlich mit Humor zu tun?
Dabei war es nicht so, daß ich tieftraurig nach einer Provokation suchte.
Im Gegenteil.
Je länger meine Erkrankung andauerte, desto mehr schien sie tatsächlich positive Veränderungen in meinem Leben zu bewirken. Würde ich in dieser Seite danach suchen, ich fände Beiträge, in denen davon die Rede ist, daß der Krebs mich interessante Menschen hat kennen lernen lassen, daß er mich alten Freunden näher gebracht hat.
Selbst mein Tagebuch ist ein Ausdruck dieses neuen Umgangs mit mir.
Ohne Krebs gäbe es kein Tagebuch.
Inzwischen beginne ich daran zu zweifeln, ob dieser Weg meiner ist.
Ich habe es zunehmend satt, positiv mit meiner Krankheit umzugehen.
Als hätte ich Angst davor, daß ein negatives Gefühl den Krebs füttern würde, bemühe ich mich geradezu verzweifelt, nichts Negatives zu denken.
Breche ich einmal aus diesem Denkkorridor aus, stoßen mich Leser dieser Seite, aber auch Menschen, denen ich tatsächlich begegne, sofort wieder dahin zurück.
Ich würde destruktiv denken, wird mir vorgeworfen, wenn ich daran zweifle, ob es mir gut bekommt, daß alle Welt dieses Tagebuch lesen kann.
Antworte ich auf die Frage, wie es mir ginge, wahrheitsgemäß, daß es mir schon einmal besser ging, kann ich die Sekunden zählen, bis ich zu hören bekomme, ich dürfe aber nicht den Glauben an eine Heilung verlieren.
Dabei hatte ich davon kein Wort gesagt!
Und während ich mich vor guten und gut gemeinten Ratschlägen kaum retten kann, entdeckt die Krebsindustrie meine Zahlkraft.
Pädagogen mit Zusatzausbildung in Psychologie erzählen mir etwas von Denk- Trampelpfaden, die ich verlassen müsse, Krankengymnasten wollen mit mir gemeinsam herausfinden, warum ich Krebs bekommen habe. (was uns den Nobelpreis in Medizin einbrächte)
Und immer wieder die Aufforderung, positiv zu denken, optimistisch zu bleiben, nur nicht nachzulassen im Glauben an ein gutes Ende.
„Nur, was Sie sich selber wünschen, werden Sie auch bekommen.“
Und so kämpfe ich Tag für Tag um das „H“ in Thumor, als gelte es, den Krebs weg zu lächeln.
Daß dieser unablässige Selbstbetrug mich Kraft kostet, Kraft, die ich gut an anderer Stelle brauchen könnte, interessiert dabei niemanden.
Positiv denken! Lassen Sie sich helfen!
Hören Sie auf Ihren Körper!
Stärken Sie Ihr Immunsystem!
Nur in einem gesunden Körper steckt auch ein gesunder Geist!
Und umgekehrt natürlich auch!
Ich habe die Nase voll von all den guten, noch mehr aber von den gut gemeinten Ratschlägen.
Als ich mehrfach dazu ansetze, mein Tagebuch einzustellen, weil ich spüre, wie dieser ganze „Wir-lassen-uns-nicht-unterkriegen“- Mist meine innersten Überzeugungen attackiert, sind die Mahner nicht weit.
Ich selbst habe scheinbar Angst davor, das Ende meines Tagebuches wäre mein eigenes Ende.
Als gelte es, diese Geschichte nur möglichst lange zu schreiben, um nebenher möglichst lange zu leben, halte ich daran wie an einem Rettungsring fest.
Nur schwimmt dieser Rettungsring in einem See aus Selbstbetrug.
Ich werde diesen See verlassen und mich zu denen am Ufer stellen.
Ob ich den Krebs besiege, hängt von der Kunstfertigkeit meiner Ärzte, der Wirksamkeit meiner Medikamente und dem Widerstand meines Körpers ab.
Nicht davon, ob ich gute oder schlechte Gedanken habe.
Sollen andere sich darum bemühen, den Krebs als eine Offenbarung für sich zu entdecken.
Ich werde ihn ab heute nur noch als das sehen, was er ist:
Als eine bösartige Veränderung körpereigenen Gewebes, deren Ursache niemand kennt.
Und deren Ausgang niemand vorhersagen kann.
Daran ändert sich auch nichts, wenn ich beim Einnehmen meiner Medikamente lächle.

Passend hierzu ein Beitrag aus der „Zeit“ vom 15.11.2010. Bemerkenswert finde ich, was auf Seite 2 zu lesen ist.

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