Am Anschlag

Gestern hatte ich ein interessantes Gespräch mit einem befreundeten Onkologen, den ich bislang nicht um Rat gefragt hatte. Ich sprach ihn an, ob er es angesichts der massiven Nebenwirkungen für sinnvoll und möglich hielte, die Temodaldosis zu reduzieren.
Seine Antwort war verblüffend.
Er erzählte mir, daß es unter den Onkologen in den USA zunehmend als richtig angesehen wird, die verabreichte Dosis nicht an der Körperoberfläche des Patienten festzumachen, so wie bei mir, wo meine Körpergröße in Bezug gebracht zu meinem Gewicht eine entsprechende Körperoberfläche und daraus resultierend eine entsprechende Dosierung des Temodal ergibt, sondern an der Leidensfähigkeit ihrer Patienten.
„Die geben ihren Patienten soviel, wie die gerade noch ertragen können. Du mußt ab und zu kotzen? Dann ist Deine Dosierung absolut richtig!“
Dann erzählte er mir von einer seiner aktuellen Patientinnen, deren Mundhöhle und Speiseröhre vom Temodal massiv angegriffen wurden und deren Schleimhäute bluten.
„Allerdings schon während des ersten Zyklus!“
So leid mir die mir Unbekannte tut, fühle ich mich seit diesem Gespräch besser.
Ich nehme eine Dosis am Rande des Erträglichen und habe trotzdem keine blutigen Schleimhäute.
Was das Brennen in meinem Kopf und überhaupt sämtliche Nebenwirkungen anbetrifft, gab er mir noch eine weitere Motivation mit auf den Weg:
„Medikamente, die keine Nebenwirkungen haben, haben nicht selten auch keine Wirkung. Wenn Deine gesunden Zellen das Temodal nicht mögen, dann mögen es die Krebszellen auch nicht!“
So etwas hatte mir meine Tochter auch schon einmal erzählt und ich habe jetzt das Gefühl, daß es irgendwie schade ist, daß ich mich heute noch nicht übergeben mußte.
Ist meine Dosierung womöglich doch noch nicht „am Anschlag“?

23.01.2011

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