Wie kommt man an ein Gehirn?

Die Frage, wie man an ein Gehirn heran kommt, hat sich mir bislang noch nie aufgedrängt.
Und auch in den letzten Tagen beschäftigt sie mich nicht.
Jetzt tut sie es.
Ich sitze mit meinem Operateur, meiner Frau, meiner Tochter und einem meiner Söhne in einem winzigen, abgedunkelten Raum, und sehe interessiert auf einen hell leuchtenden Röntgenbild- Betrachtungsschirm.
„Das ist einfach.“
Er sagt tatsächlich „einfach“!
„Zuerst klappen wir die Kopfhaut auseinander, dann bohren wir Ihnen drei Löcher in die Schädeldecke, die wir anschließend miteinander verbinden. Aber keine Sorge, der Bohrer hört von allein auf, wenn wir durch die Schädeldecke durch sind!“
Er lacht kurz auf und auch ich finde das komisch.
„Besser ist das!“, sage ich und meine das auch.
„Na ja, und wenn wir dann Ihren Schädel von Bohrung zu Bohrung durchgesägt haben, können wir dieses Knochendreieck rausnehmen.“
Weil er völlig entspannt ist, bin ich es auch.
Hätte er mir erklärt, daß man eine Büchse erst öffnen muß, bevor man an das Katzenfutter kommt, hätte seine Stimme vermutlich nicht anders geklungen.
Ich habe nicht den geringsten Zeifel, daß ihn dieser Teil der OP eher langweilt.
Mich nicht.
Nur werde ich ja auch nicht Bohren und Sägen müssen.
Ich fühle mich wie der Kunde einer Autowerkstatt, der sein Auto abgibt, um den Motor wechseln zu lassen.
Wird sicher viel Arbeit – aber nicht für mich.
Obwohl er meinen Kopf noch nicht aufgesägt hat, kann er scheinbar dennoch schon hineingucken:
„Davon merken Sie ohnehin nichts. Wir legen Sie morgen früh Schlafen und wenn Sie wieder aufwachen, ist alles erledigt.“
Meine Tochter schaltet sich ein und ich denke, mich zu verhören, als sie ihre Frage stellt.
„In Kiel soll es einen Operationssaal geben, in dem der Patient während der OP ins MRT geschoben werden kann, um zu kontrollieren, ob der gesamte Tumor entfernt wurde. Können Sie das hier auch machen?“
„Nein, das können wir hier nicht. So tolle Bedingungen haben wir hier nicht.“
Was ich in diesem Moment irgendwie schade finde.
Aber, was sagt er da gerade?
„Allerdings können wir Folgendes machen: Wir operieren komplett fertig, machen den Kopf wieder zu und fahren Ihren Vater ins MRT. Das geht ein wenig über den Flur, aber die Wunde ist dann ja wieder zu. Und wenn wir dann im MRT etwas finden, was wir noch entfernen wollen, dann geht es eben wieder zurück in den OP und wir machen wieder auf. Das ist völlig unproblematisch, noch dazu wir hier noch richtige Nähte machen!“
So, wie er das sagt, klingt es wie das Ändern einer Hose.
Ich will nicht in Kiel operiert werden!
Ich will frisch operiert über den Flur gekarrt werden!
Ich will, dass er mir den Kopf aufsägt!

04.01.2010

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