iTod

Die erste Nacht auf der Intensivstation liegt hinter mir, das Stück Himmel, das ich von meinem Bett aus sehen kann, wird langsam hell.
Gespräche setzen ein.
Die Nachschicht übergibt an die Frühschicht.
Unter anderem mich.
„Der Herr Kramer ist ein sehr Aufmerksamer. Sonst keine Besonderheiten.“
Na also. Geht doch.
Für aufmerksam hält man mich wohl, weil ich der Nachtschicht den Gebrauch von iPhones empfohlen habe.
„Da können Ihre piependen Maschinen dann anklingeln und der Vibrationsalarm in Ihrer Tasche sagt Ihnen, daß Sie gebraucht werden.“
Ein stiller Alarm.
„Das macht heute sogar die Feuerwehr so, eine Sirene höre ich von denen seit Jahren nicht mehr.“
„Warum muß ich denn wissen, daß der Patient hinter dem Vorhang neben mir gerade stirbt?“, frage ich so gegen drei Uhr.
Weil mir sofort auffällt, daß mein Nachbar das gehört haben könnte, füge ich an.
„Und falls ich abnipple, ist das sicher auch nicht von öffentlichem Interesse!“
Den Rest der Nacht stelle ich mir vor, wie die Beatmungsmaschine eine Nachricht an den diensthabenden Arzt absetzt: „Achtung, der Typ. den ich hier belüfte, könnte demnächst tot sein!“
Das Ganze als Email, ein kurzes Vibrieren in der Hose des Arztes – und während die Beatmungsmaschine beim Nachbarn abgeschaltet wird, kann ich in aller Ruhe weiterschlafen.
Als Bewohner einer Intensivstation halte ich das für eine brauchbare Erfindung.
Da ich mir nichts aufschreiben kann, muß ich mir jede meiner Ideen einprägen.
Was einerseits anstrengend ist, andererseits aber ablenkt.
Am Ende hat meine Erfindung sogar einen Namen: „iTod“

06.01.2010

Viele Tage später werde ich versuchen, mir den Namen „iTod“ markenrechtlich schützen zu lassen. Ich komme zu spät. Irgendwo auf dieser Welt muss ein Mensch die Nacht auf einer Intensivstation verbracht, oder ein Beerdigungsinstitut geerbt haben. Wie sonst kommt man auf so eine verrückte Idee?

17.08.2015

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