Schamlos

„Bevor wir Ihren Stuhl nicht untersucht haben, wissen wir nicht, ob Sie den Noro-Virus haben.“
Schon klar.
Ich scheiße ja auch jeden Tag in mein Bett.
Dass es auf der Station penetrant nach Fäkalien stinkt, ist auch kein Hinweis darauf, dass ich und andere den Virus haben.
Und dass ich verlegt wurde, weil auf der Intermediat-Station das Noro-Virus grassiert, lässt auch keinen Schluß auf den Grund meiner Probleme zu.
Erst wenn das Vieh dir unter dem Mikroskop zuwinkt, können wir sicher sein.
Schon klar.
Ich hasse diese Frau.
Natürlich weiß ich, daß sie recht hat.
Und sie weiß das auch.
Nur weshalb macht es ihr sichtlich Spaß, mich um 6.05 Uhr mit einem gebrüllten „Guten Morgen!“ aus einem Schlaf zu reißen, in den ich erst vor wenigen Minuten nach einer auf der Toilette durchwachten Nacht versunken bin?
„Haben Sie in den Schieber gemacht?“
Mein Tag ist jetzt eine Minute alt.
„Ich hatte keinen Stuhl!“
Eine Lüge. Und alle im Zimmer riechen und wissen das.
Es ist mir egal.
Ich werde dieser Frau nicht hier und nicht jetzt erklären, dass mir zum Kunstscheißen die Kraft gefehlt hat.
Ich werde dieser Frau gar nichts mehr erklären.
Während ich wie ein Haufen Elend, mit nacktem Oberkörper und einem bizarren Verband um den Kopf in meinem Bett sitze und mich frage, ob ich gerade wieder unter mich mache, steht sie frisch gestylt und selbstverliebt vor mir.
Sicher kann sie es kaum erwarten, sich den nächsten OP – Kandidaten zu schnappen, um vor den anfallenden Stationsarbeiten zu flüchten.
Vorher aber würde sie eine Welle Wind machen und allen zeigen, wie wichtig sie ist.
Das Schauspiel ist so offensichtlich, dass mir davon schlecht wird.
Als Stationsleiterin ist sie morgens um kurz nach sechs der liebe Gott.
Mein Gott ist sie nicht.
Sie kann mich mal.
Noch viel zu benommen, mich auf intellektuell hohem Niveau zu wehren, lüge ich sie frech an.
„Ich hatte keinen Stuhl!“ heißt an diesem Morgen, und alle Anwesenden verstehen das, da bin ich mir sicher,
„Leck mich am Arsch, du dumme Kuh!“
Dass sie schäumend vor Wut mein Zimmer verlässt, zeigt mir, dass auch Sie mich verstanden hat.

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