Reifenwechsel

„Ich lasse die Sommerreifen aufziehen!“
Als ich meiner Frau mit dieser Nachricht eine Freude mache möchte, liegt meine zweite Chemotherapie erst einen Tag hinter mir.
Mir geht es nicht wirklich gut, aber wie lange soll ich meiner Frau noch beim Arbeiten zusehen?
„Ich bin in einer Stunde zurück!“
Tatsächlich dauert die Fahrt zu meinem Reifenhändler kaum zehn Minuten, und er hält vergebene Termine ein.
Er ist schließlich kein Arzt!
Also glaube ich, was ich sage.
In einer Stunde bin ich zurück.
Während meinem Auto neue Schuhe verpasst werden, warte ich im Büro der Werkstatt.
Menschen kommen und gehen.
Das Telefon klingelt.
Das Telefon klingelt.
Menschen kommen.
Menschen gehen.
Das Telefon klingelt.
Der Kaffee in meiner Hand wird mir zu viel.
Ich muss an die frische Luft.
Alle sind beschäftigt.
Das Telefon klingelt.
Er kann jetzt nicht drangehen, Menschen kommen.
Raus hier.
Vor der Tür ein Anruf bei meiner Frau.
„Praxis Zahnärztin Kramer. Nein, Ihre Frau ist gerade in der Behandlung. Soll ich irgend etwas ausrichten?“
Nein, danke.
Da ist mein Auto.
Der Monteur schaut kurz auf, als ich in bitte, mich nach Hause zu fahren.
„Nein, das geht nicht!“ lacht er.
„Ich muß doch hier arbeiten!“
Mein Telefon klingelt.
„Frank? Kann ich Dir helfen?
Nein, mein Schatz.
Mir geht es nicht gut und ich komme nicht allein nach Hause.
Ich muß jetzt Schluß machen.
Ich habe Dich lieb.
Zurück ins Büro.
Kann ich mich hier irgendwo hinlegen?
Verständnislosigkeit.
Ich wurde am Gehirn operiert und mir geht es nicht gut!
Verständnislosigkeit.
Ruft die 112.
Hektik.
Ich darf mich hinlegen.
Endlich.
Ich werde im Büro einer Reifenbude sterben, während meine Frau nicht bei mir ist.
„Sie kommen!“
Die Frau kenn ich doch?
Meine Rettungsärztin.
Diesmal habe ich wenigstens eine Hose an.
Jetzt wird alles gut.

11.05.2010

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