Murphys Gesetz

Wie oft habe ich schon davon gehört. „Alles, was schief gehen kann, wird auch schief gehen.“
Seit heute weiß ich, dass das stimmt.
Pünktlich um 6.30 Uhr finde ich mich auf Station ein. Von dort aus soll es in die Anästhesie und später ins MRT gehen.
Ich werde auf ein 4 – Bett – Zimmer gebracht, setze mich auf einen der Stühle und warte.
7.00 Uhr.
Für zwei der drei Männer gibt es Frühstück. Zwei, einer davon ich, müssen „nüchtern“ bleiben.
Nüchtern heißt: kein Frühstück.
8.30 Uhr
Der zweite Nüchterne wird zur Behandlung abgeholt. Ich nicht.
9.30 Uhr
Der zweite Nüchterne ist nicht mehr nüchtern. Er sitzt mir gegen über und genießt sein Frühstück. Ich hatte keine Ahnung, wie gut Krankenhauskaffee riechen kann.
10.30 Uhr
„Da hat etwas mit der Informationsweitergabe nicht geklappt. Die Anästhesisten wußten gar nichts von Ihnen. Jetzt haben die soviel zu tun, daß Sie noch bis Mittag warten müssen. 11.29 Uhr hat man mir gesagt, sind Sie dran.“ Die Schwester verlässt das Zimmer nicht, ohne mich nochmal darauf hinzu weisen, dass ich nüchtern bleiben muß. Man, bin ich nüchtern.
11.28 Uhr
Meine drei Mitbewohner und ich verfolgen den Sekundenzeiger auf der Wanduhr . Wird sich die Tür um 11.29 Uhr öffnen?
11.29. Uhr
Die Tür bleibt zu.
12.30 Uhr
Mittagessen für drei von vier. Man, bin ich nüchtern!
12.45 Uhr
„Jetzt ist in der Anästhesie Schichtwechsel. Da sind immer ein paar Ärzte mehr da und man wird versuchen, Sie dazwischen zu schieben. Bleiben Sie auf jeden Fall nüchtern!“ Ich bin jetzt seit 8 Stunden auf den Beinen und habe noch keinen Schluck getrunken oder gegessen.  Dafür bin ich nüchtern. Garantiert.
14.00 Uhr
Zwei Schwestern bringen mir einen der  hübschen OP – Kittelchen, in denen man nackt besser nicht über den Flur läuft, es sei denn, man will jedem seinen Hintern zeigen.“Wir bringen Sie jetzt in die Anästhesie. Von dort fährt man Sie ins MRT.“
14.30 Uhr
„Sie kommen extra aus Aurich, um sich von mir flach legen zu lassen?“
„Ja, ich bin den Weg nur gefahren, um Sie kennen zu lernen!
„Das glaube ich Ihnen nicht!“
Er ist ein nett aussehender Fleischer, der heute seinen Dienst in der OP – Vorbereitung versieht. Hat meine Hände zu Nadelkissen umfunktioniert und währenddessen mit mir darüber verhandelt, wie tief er mich schlafen lassen wird.
„Wieso glauben Sie mir das nicht?“
„Das sagt mir meine weibliche Intuition!“
Als er sich wieder über mich beugt, sieht er ganz anders aus. Viel blasser und dicker.
„Herr Kramer, sind Sie wach? Es gab Probleme während der Narkose. Aber, das werden die Ärzte Ihnen erklären!“
„Erklären Sie es mir!“
„Nein. Das darf ich nicht. Das macht der Arzt.“
So langsam realisiere ich, daß er nicht mein Anästhesist mit der weiblichen Intuition ist, daß ich im Aufwachraum liege und daß irgend etwas Schlimmes mit mir passiert ist. Und dieser Knallkopf da, sagt mir nicht, was.
Kurzer, interner Check.
Ich heiße? Frank.
Ich wohne in? Aurich.
Meine Frau heißt? Anne.
Den linken Fuß? Spüre ich.
Den rechten? Auch.
Linker Arm, rechter Arm? O.K.
Was regt der sich so auf?
Endlich. Der Arzt. Sieht ziemlich zerknirscht aus. Gar nicht mehr fröhlich.
Habe ich irgend etwas vergessen zu checken?
„Herr Kramer. Es gab ein Problem während Ihrer Narkose.“
Scheiße, das weiß ich schon. Welches?
„Die Beatmungsmaske, die wir Ihnen aufgesetzt haben, ist verrutscht und wir haben Ihnen Luft in den Magen und nicht in die Lunge gepumpt.“
Sauerstoffmangel!
Wieviel ist 2 mal 2? 4.
Wie alt bin ich?
„Dann haben Sie, auf dem Rücken liegend, im MRT erbrochen, und das Erbrochene eingeatmet.“
Das kann ja nur eine Handvoll „Nüchtern“ gewesen sein.
„Gott sei Dank war das aber nur etwas Schleim und Flüssigkeit“
Sag ich doch.
„Na, dann war das doch halb so schlimm!“, versuche ich ihn aufzurichten.
„Sie hätten dabei sein müssen!“
Wir bemerken zeitgleich den Wortwitz und lachen.
So schnell, wie ich den verstanden habe, kann es mit dem Sauerstoffmangel nicht so schlimm gewesen sein.
„So, nun aber Butter bei die Fische! Wie sieht denn das Worst-Case-Szenario aus? Was ist mir denn nun passiert, oder, was kann mir noch passieren?“
„Sie können eine Lungenentzündung behommen!“
Wegen einer Lungenentzündung das ganze Theater? Ich atme tief durch. Aua. Das hatte ich noch nicht gecheckt.
„Ich kann eine Lungenentzündung bekommen, heißt aber nicht, dass ich sicher eine bekommen werde, oder?“
„Nein.“
„Ist denn wenigstens das MRT – Bild etwas geworden?“
„Ja.“
„Na, dann ist doch alles in Ordnung!“
Er lächelt.
Gut so.

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