Therap(n)ie

33 Kumpel in Chile gelangen durch eine 600m lange Röhre zurück ins Leben. Als der Ersthelfer Gonzales sich zu den Eingeschlossenen hinab begibt, kann ich dessen Mut kaum fassen und beschließe, mich meiner Angst vor Enge zu stellen.
Röhren sind gut. Vor allem, wenn sie Leben retten.
Meine Röhre heißt MRT und auch sie ist gut.
Mein Kopf weiß das.
Mein vegetatives Nervensystem weiß das nicht.
Also muß einTherapeut es ihm beibringen.
Therapeuten findet man im Telefonbuch.
Denke ich.
Was ich finde, sind Telefonnummern.
„Sie erreichen mich montags, dienstags und donnerstags von 10.05 Uhr bis 10.20 Uhr.“
Nächste Nummer.
„Sie erreichen mich nicht persönlich. Sprechen Sie deutlich Ihren Namen und Ihre Telefonnummer. Ich rufe zurück.“
Nächste Nummer.
„Psychologische Psychotherapie, Anrufbeantworter. Wir sind im Urlaub.“
Nächste Nummer.
Klingeln. Niemand nimmt ab.
Nächste Nummer.
„Sie erreichen mich in der Praxis dienstags von 12.10 Uhr bis 12.30 Uhr.“
Mir reicht es.
Was machen weniger verzweifelte Menschen als ich es bin angesichts so demonstrativer Distanz zwischen sich und der gesuchten Hilfe?
Als ich im Begriff bin, mir ein Stück Kanalrohr zu kaufen, um darin zu schlafen, klingelt mein Telefon.
„Sie hatten bei mir angerufen?“
„Sind Sie eine Psychotherapeutin?“
„Ja. Was kann ich für Sie tun?“
„Ich glaube ihnen nicht, daß Sie eine Therapeutin sind.“
„Weshalb nicht?“
„Weil man richtige Therapeutinnen und Therapeuten nie erreicht.“
Sie lacht.
„Und weil Sie keinen Doppelnamen haben.“
Sie lacht.
Schon am nächsten Dienstag habe ich einen Termin bei ihr.
Irgend etwas stimmt mit ihr nicht.

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