Kein Ding

Als ich mit der Diagnose „Krebs“ konfrontiert wurde, fühlte sich dies wie ein Todesurteil an.
Noch dazu eines, das schon bald vollstreckt werden würde.
Blankes Entsetzen und Panik waren die Folge.
Die ersten Tage, in denen ich bewußt mit dem Krebs lebte, werde ich deshalb niemals vergessen.
Und so wundert es mich im Rückblick auch nicht im Geringsten, daß ich verzweifelt nach einem Halt suchte, nach einem Weg, auf dem ich meinem Ende entgegen gehen könnte.
Mit nur wenig mehr als 50 Jahren hatte ich noch nicht soviel über das Sterben nachgedacht, nicht mehr jedenfalls, als jeder andere Mensch in meinem Alter vermutlich auch.
Jetzt blieb mir gar nichts anderes über, und es war ein scheinbar nicht enden wollender Alptraum.
Jetzt, 11 Monate später, hat dieser Alptraum an Kraft, an Macht verloren.
Nicht, daß ich meine Krankheit auch nur für mehr als ein paar Augenblicke vergessen könnte, so ist das nicht.
Aber wenn ich an sie denke, dann ist sie nicht mehr die schlechte Nachricht oder die von Außen drohende Gefahr.
Sie ist ein Teil von mir geworden.
Ich habe mir diesen Teil nicht ausgesucht, aber zurück geben kann ich ihn deshalb dennoch nicht.
Und so habe ich gelernt, mit dem Krebs zu leben.
Die Angst ist da, aber sie lähmt mich nicht mehr.
Das Schreiben dieses Tagebuches, die Auseinandersetzung mit mir und den Meinungen anderer, haben mir geholfen, meinen Platz in meinem Leben wieder einzunehmen.
Blättere ich heute durch meine Gedanken der letzten Monate, dann spüre ich die Panik, die Angst, die mich trieb, als ich auch die intimsten meiner Gedanken der ganzen Welt anvertraute.
Es war wie ein unausgesprochener Pakt, den ich einzugehen bereit war: ich würde mich als Person, als Individuum aufgeben und würde mit allen Besuchern meiner Seite gemeinsam am „Ding“ Frank Kramer arbeiten.
Als hätte ich nichts mehr zu verlieren, gab ich mein „Ich“ an der Garderobe ab, um vor Publikum den Krebskranken zu geben.
Das war viele Monate ein Weg, es war mein Weg, mit der Nachricht vom Krebs umzugehen.
Inzwischen weiß ich, daß viele Schwerkranke diesen Weg gehen. Das Internet ist voller Tagebücher wie meines, die Foren quellen über von Leidensberichten.
Ich muß mich also nicht schämen, mich nicht fragen, ob ich etwas Falsches gemacht habe.
Nur muß ich mich fragen, ob ich diesen in der Not gewählten Weg auch weiter gehen möchte.
Wohin führt er mich?
In öffentlich geführten Streit?
In weltanschauliche Auseinandersetzungen?
Warum sollte ich das wollen?
Wie sollte mir das helfen, mein Leben trotz Krankheit zu leben und letztendlich, so gut es geht, zu genießen?
Grad 3 war mein Ventil in schweren Zeiten, mein Halt.
Die aufmunternden Worte einiger Leser, aber auch die kritischen Anmerkungen anderer haben mich spüren lassen, daß ich nicht allein bin.
Das tat gut.
Jetzt möchte ich die selbstgewählte, öffentliche Aufführung vom krebskranken Frank beenden.
Mir geht es gut, meine Gedanken sind klar wie lange nicht, trotz des dritten Tages meiner 8. Chemo.
Freuen Sie sich also mit mir über meine Rückkehr in mein ganz normales Leben- das, so besonders es auch ist, am Ende immer noch mir allein gehört.
Ich freue mich weiter über jede Mail, beantworte jede einzelne.
Auf Augenhöhe und mit wieder hochgezogener Hose.

Ihr und euer Frank

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