Schultersteife

Als vor einigen Wochen mein linkes Schultergelenk so stark schmerzt, daß ich nicht einmal in meine Jacke komme, führt kein Weg am Arztbesuch vorbei. Da ich ohnehin eine Blutanalyse für die nächste Chemo brauche, nehme ich meine Schulter einfach mit. Mein Hausarzt ist ein Mann und geht das Problem auch gleich männlich an: “ Wie alt sind Sie, Herr Kramer? 52?“
Ich erspare mir eine Antwort, da er mein Alter definitiv nicht geschätzt hat.
„Das ist Verschleiß!“
Scheiße. Ich habe es gewußt.
Erst der Tumor in meinem Kopf und jetzt auch noch Verschleiß in meinen Gelenken!
Ich verlasse seine Praxis geknickt, beschließe aber, mein ohnehin schmerzendes und, wie sagte er so schön, „verschlissenes“ Schultergelenk nicht mehr so häufig zu benutzen.
Was auch ganz gut gelingt, denn immerhin spüre ich im linken Arm ohnehin nicht mehr sehr viel seit meiner partiellen Gehirnamputation. Da kann ich den auch gleich einfach komplett ignorieren.
Mit dem Ergebnis, daß meine Schmerzen fast täglich zunehmen.
Ich beklage das solange, bis meine Frau es nicht mehr hören und ich in ihren Augen das Wort „Orthopäde“ lesen kann.
Der schaut sich meine Schulter an, läßt mich kurz „Sieg Heil!“ mit links ausführen und nickt wissend, als ich dabei nicht siegessicher lächele.
„Schultersteife!“
Das klingt nicht gut, beschreibt aber auf den Punkt, wie sich meine Schulter anfühlt: Steif.
„Was kann ich dagegen machen?“
Er empfielt vorerst ein Röntgenbild und eine Untersuchung mit Ultraschall.
Deren sich unmittelbar anschließende Auswertung erinnert mich an Gespräche auf Automärkten in der DDR:
„Hier Hinten hat ihr 30 Jahre alter Trabbi aber schon einen Kratzer! Dafür kann ich höchstens noch den doppelten Neupreis bezahlen!“
Von einem Trabbi sagt mein Orthopäde natürlich kein Wort, aber daß er auf meinem 52 Jahre alten Schultergelenk kein Jungfernhäutchen mehr findet, überrascht nur ihn!
Ich sehe auf den Bildern jedenfalls nichts, daß nicht irgendwie da hingehört. Das muß so sein, sonst würde er sich nicht so lange an zwei winzigen Kalkablagerungen aufhalten, die ich wahrscheinlich als Geburtsfehler mit mir herumtrage.
„Und, was kann ich jetzt machen?“
Mein Neurochirurg hat weniger zerknirscht geguckt, als es um die Entfernung des Tumors in meinem Kopf ging.
„Krankengymnastik. Viel mehr kann man da nicht machen!“
Ich wußte es.
Ich werde an Schultersteife sterben!
Oder doch nicht?
Kaum habe ich seine Praxis verlassen, ist es mit dem Kurzurlaub für meinen linken Arm vorbei und er ist es, der mich ab sofort ernährt.
Anfangs noch widerwillig und nicht ohne mich zu ärgern, gibt er seinen Widerstand nach und nach auf und bewegt sich langsam wieder in seinen natürlichen Möglichkeiten. Nach Vorn. Nach Hinten. Zur Seite.
Wie neu ist das Ganze noch nicht, aber das war es ohnehin das letzte Mal vor 52 Jahren.
Ansonsten sind die Verbesserungen aber phänomenal.
Steif ist da nichts mehr.
In meiner Schulter.

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